Letztmals in ihrer bisherigen Zusammensetzung trat am 18. Oktober die Synode des Evang.-Luth. Dekanatsbezirks Bad Neustadt an der Saale zusammen. Etwa 60 ehrenamtliche und hauptamtliche Mitarbeitende aus den Kirchengemeinden hatten sich dazu im Saal des evangelischen Gemeindehauses in Bad Neustadt versammelt. Außer den eigentlichen Mitgliedern der Synode waren diesmal auch alle aktuellen Mitglieder aus den Kirchenvorständen sowie alle Kandidierenden der bevorstehenden Kirchenvorstandswahl eingeladen. Denn im Mittelpunkt stand ein Thema, das alle kirchlichen Mitarbeitenden - ehrenamtliche und hauptamtliche - in den kommenden Jahren beschäftigen wird: die Weichenstellung zukünftiger kirchlicher Arbeit unter deutlich veränderten Rahmenbedingungen. Bevor Dekan Rasp das Wort an den Referenten des Abends übergab, nannte er zwei Zahlen, welche die Notwendigkeit zu einschneidenden Veränderungen deutlich machen: zum einen den faktischen Rückgang der Zahl der Kirchenmitglieder im Dekanat ähnlich wie in der gesamten Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB) um etwa ein Viertel in den Jahren 2001 bis 2023. Und zum anderen den absehbaren Rückgang der Zahl der hauptberuflich Mitarbeitenden der ELKB in den kommenden zehn Jahren um 50%. Dieser Verlust an Mitarbeitenden ist durch den Eintritt der geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand bedingt. Dieser wird die Kirchen genauso treffen wie alle anderen Bereiche der Gesellschaft und kann aus verschiedenen Gründen nicht ausgeglichen werden.
Dann übernahm Stefan Werner als besonderer Gast und hochkarätiger Hauptreferent des Abends das Wort. Er ist seit Juli 2017 Direktor im Oberkirchenrat der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, ist dort unter anderem verantwortlich für Grundsatzangelegenheiten und Organisationsentwicklung und amtiert auch als juristischer Stellvertreter des Landesbischofs. Der Jurist und gebürtige Unterfranke ist zudem Mitglied im Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und machte auf dem Rückweg von Berlin nach Stuttgart in Mellrichstadt und Bad Neustadt Station. Sein ausführliches Referat, basierend auf umfangreicher Erfahrung, beruflicher Vernetzung und die Beschäftigung mit einschlägigen Studien und Untersuchungen, stand unter der Frage „Wie können wir Kirche verändern und Kirche bleiben?“ und zielte eben auf die „Voraussetzungen guter Verkündigung unter geänderten Strukturen“. Anknüpfend an die Zahlen von Uwe Rasp äußerte sich Stefan Werner zu Beginn verwundert und ratlos darüber, dass auch seriöse Medien regelmäßig „die Kirchen“ als überaus reich darstellten, obwohl längst die gegenteiligen Fakten offengelegt seien. Bei einer Personalquote von (noch) 80% und den bevorstehenden Ruhestandseintritten der Baby-Boomer-Generation stünden den Kirchen absehbar hohe finanzielle Verpflichtungen bevor. Die Rücklagen dafür binden einen Großteil des verfügbaren Vermögens und werden in absehbarer Zeit auch verbraucht, so Stefan Werner. Kritik übte er in diesem Zusammenhang auch an den Kirchen in Bayern und Baden-Württemberg. Hier seien durch gute wirtschaftliche Bedingungen in jüngst vergangenen Jahren die Einnahmen durch die Kirchensteuer zwar noch gestiegen und das habe leider in kirchlichen Gremien quasi wie ein Beruhigungsmittel gewirkt. Mit einem Blick auf die größeren Zusammenhänge und Verpflichtungen seien jedoch einschneidende Veränderungen überfällig. Werner veranschaulichte die laufende Entwicklung durch mehrere Schaubilder aus der „Freiburger Studie zur Kirchenmitgliedschaft und Kirchensteuer“ (siehe dort und auch hier) und Erkenntnisse aus der jüngsten „Kirchen-Mitgliedschafts-Untersuchung“ (KMU) der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Unausweichlich gehe daraus hervor, wie hoch der Handlungsdruck hin zu tiefgreifenden Reformen sei. Als Folgerungen aus den Untersuchungen ergebe sich unter anderem, dass die kirchliche Finanzstrategie neu ausgerichtet werden müsse unter den Maßstäben „verantwortbar und generationengerecht“. Das erfordere konsequent die Festlegung von Prioritäten und den Verzicht auf vieles, was in den vergangenen Jahrzehnten scheinbar selbstverständlich geworden sei. Aus seinem eigenen Arbeitsfeld, der württembergischen Landeskirche, listete Stefan Werner zwölf „Eckpunkte der Finanz- und strategischen Planung“ auf. Das „Aufgeben von Arbeitsfeldern im Rahmen einer konsequenten Priorisierung“ wird darin sicherlich zu Recht als „sehr schwierig“ bewertet. Aber auch die Reduzierung „der Zahl der Gremien“, „der Zahl der Körperschaften“ und „der Zahl der zu unterhaltenden Gebäude“ dürfte nicht einfach werden. Ebenso das Vorhaben der „Überprüfung von Mitwirkungsrechten“ sei in einer Kirche, die sich als demokratisch geprägt verstehe, schwieriger anzugehen als in einer zentralistisch organisierten Kirche, so Werner.
Helfen könne in all diesen Herausforderungen unter anderem der „Blick in die Ökumene“, der schon beim Blick auf die Kirchen in anderen Regionen Deutschlands beginne. „Kirche“ sei nicht in unveränderlicher Form vorgegeben und festgeschrieben, sondern wandelbar. Dazu gebe es mehrere biblische Bilder, z.B. vom „wandelnden Gottesvolk“ oder vom „Haus aus lebendigen Steinen“. Die Vergewisserung des Auftrages der Kirche sei ein Maßstab für alle Veränderungen. Werner zitierte dazu aus den „Leitlinien der VELKD“ (Vereinigte Lutherische Kirche in Deutschland): Auftrag der Kirche sei „Zeugnis und Dienst, d.h. den Glauben an Jesus Christus zu bezeugen und Gottes Liebe zu allen Menschen in die Tat umzusetzen“. Im letzten Teil seines Referates stellte sich Stefan Werner der zugespitzt formulierten Frage: „Ist die Kirche veränderbar?“. Bedenken daran äußerte der Oberkirchenrat angesichts der zunehmenden „Verrechtlichung“ der Kirche, ihrer hoch komplexen und stark partizipativen Leitungskultur, dem Parochialprinzip (Organisationsform der Ortsgemeinde) und dem kirchlichen Gebäudebestand. Das alles seien Hürden, die für eine zukunftsfähige Veränderung von „Kirche“ überwunden werden müssten. Abschließend stellte Stefan Werner den Anwesenden sieben Thesen zur Diskussion, die auch für bevorstehende Entscheidungsprozesse zu bedenken seien. Zwei davon lauten: „Der kirchliche Auftrag lässt sich nicht durch kirchenleitendes Handeln oder allein durch die Leitungsämter absichern.“ Und „Es müssen Spielräume (rechtlich und finanziell) für die örtlichen Gremien ((Kirchengemeinden, Kirchenbezirke) geschaffen werden, eigene und vor Ort passende Lösungen zu finden…“.
Trotz der Länge des Vortrags waren die Anwesenden diesem konzentriert und mit zunehmend nachdenklichen Gesichtern gefolgt. Die Wortmeldungen zeigten nun, dass aus ganz verschiedenen Perspektiven ein Weiterdenken begonnen hat.
Das kam auch in den kommentierenden Schlussworten von Marion Winnefeld zum Ausdruck, die sowohl als Mitglied der Dekanatssynode als auch der Landessynode sprach. Anhand der fünf Arbeitsschwerpunkte der Zukunftskonferenz 2022 der ELKB (siehe Ausstrahlungsstark Kirche sein - Evangelisch in Bayern) stellte sie unter anderem die im Dekanat bereits begonnenen Veränderungsprozesse vor. Ein konzeptionell erarbeitetes Selbstbild des Dekanates und die Neugründungen von Pfarreien ermöglichten die berufsübergreifenden Besetzungen von Pfarrstellen, so Winnefeld, und verwies auf aktuelle Neubesetzungen in Bad Neustadt und in der Pfarrei Emmaus (Mellrichstadt+Mühlfeld). Zudem seien auch dekanatsweite Schwerpunkte in der Öffentlichkeitsarbeit und der Altenheimseelsorge gesetzt worden.
Mit Blick auf die kirchlichen Strukturen und die Finanzen führte die Synodale aus: "Es ist vieles in Bewegung geraten. Zurzeit wird die Reduzierung der Kirchenkreise diskutiert. Dekanate schließen sich zusammen, um Synergien zu nutzen. Das Überdenken der Strukturen macht auch vor dem Landeskirchenamt und der Landessynode nicht halt. Unsere finanziellen Möglichkeiten in der Zukunft geben uns für unsere Überlegungen einen festen Rahmen vor. Die Landessynode hat sich für das Konzept der mittelfristigen Finanzierung entschieden. Was bedeutet das? Wir werden für einige Jahre einen nicht ausgeglichenen Haushalt akzeptieren, um die Reduzierung unserer Ausgaben so verträglich wie möglich zu gestalten. Aber das Ziel muss langfristig sein mit den sinkenden Kirchensteuereinnahmen einen soliden Haushalt zu ermöglichen. Für die Tagung der Landessynode im Herbst 2024 hat der Landeskirchenrat einen neuen Vorschlag erarbeitet, den wir im Herbst behandeln werden."
Als wichtigste Ressource im Veränderungsprozess der ELKB und als Kern der kirchlichen Identität bezeichnete Marion Winnefeld das Miteinander der Menschen "getreu der Zusage der Liebe Gottes". Sie beendete ihre Darstellung mit den Worten: „Kirche zu gestalten, ist nicht nur Aufgabe weniger! Wir alle - Hauptamtliche, Ehrenamtliche, alle Kirchenmitglieder – sind dazu in der Nachfolge Jesu aufgefordert.“
Mit einem Dank von Dekan Uwe Rasp an alle Anwesenden und Beteiligten und mit guten Wünschen auf den Weg von den Dekanatspräsiden Böhm und Scheider schloss die Dekanatssynode.